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HirnGespinste
Teil 1: 2002 - 2006

Paris 1983 -1985 Haan 1986 -1992

Basel 1992 -1996 - Hamburg 1995 -1997

Haan 1996 -1998 - Stockholm 1998 - 2005

Oxford 2005 - 2006


'Concierto de Aranjuez', Joaquin Rodrigo (12:08)

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Vom Individualismus


Jedes Individuum ist einzigartig.
Einzigartig in der Summe seiner quantitativen und qualitativen Individualismen.
Jedes Individuum ein potentieller Konflikt!?
Ohne Individualismus keine Konflikte.
Eine Gemeinschaft ist der Zusammenschluss von mindestens 2 Individuen.
Jede Gemeinschaft erfordert die Aufgabe von Individualismen/Eigeninteressen von jedem Individuum.
An deren Stelle setzt die Gemeinschaft die ihr eigenen und nur aus ihr heraus geborenen Interessen/Werte.
Eine auf Dauerhaftigkeit angelegte Gemeinschaft schafft eine positive Bilanz zu ihren Gunsten zwischen den aufgegebenen Individualismen/Eigeninteressen des einzelnen Individuums und der an deren Stelle zu tretenden neuen - aus der Gemeinschaft gebildeten - Interessen/Werte.
Je größer die in einer Gemeinschaft aufgegangenen Individuen, je stärker der Druck auf die verbleibenden Individuen.
Je größer die Gemeinschaft, desto größer die Notwendigkeit der Aufgabe von Individualismen/Interessen Einzelner.
Die Grenzen einer Gemeinschaft werden gezogen durch die Unfähigkeit der Individuen, sämtliche Individualismen/Eigeninteressen aufzugeben, bzw. in der Unfähigkeit
der Gemeinschaft, entsprechend attraktive, nur in der Gemeinschaft mögliche Interessen/Werte dagegen zusetzen.

Die Abgrenzung einzelner Gemeinschaften zueinander ist der Ausdruck der Unterschiedlichkeit der ihr und damit allen ihr angehörigen Individuen eigenen Interessen/Werte, auch Gruppen-Individualismus oder Gemeinschaftssinn genannt.
Führt die Bildung einer Gemeinschaft zur vollständigen Aufgabe aller Individualismen/Eigeninteressen der einzelnen Individuen, und treten an ihre Stelle die dieser
Gemeinschaft eigenen und in ihrer Form einzigartigen Gruppenindividualismen/-interessen, dann ist dies das Ende jeglicher Individualität,

das Ende aller Individuen, das Ende der Einzigartigkeit.
Schade.

Djursholm, 2002

Haan, 18 Jahre später:
InteressenGemeinschaften

Jede Gemeinschaft ist eine InteressenGemeinschaft.
"Staaten haben keine Freunde sondern nur Interessen" (Kissinger).
Recht hat er.
Dies gilt aber grundsätzlich nicht nur für Staaten sondern auch für:
- Parteien
- Firmen
- Verbände
sowie für alle Menschen im privaten Umgang miteinander.
Ihr glaubt das nicht?
Zumindest nicht das von den Menschen?
Träumt weiter.
Und haltet die Enttäuschungen aus.




Wissen, Gemeinschaft und Macht

Wissen ist gespeicherte Erfahrung. Es wird erst wertvoll durch Verfügbarkeit und zielentsprechende Anwendung.
Der biologische Entwicklungsstand des Menschen reicht bis heute nicht aus, sämtliches vorhandene Wissen aufzunehmen. Dafür bedient sich der Mensch anderer Menschen, Bücher, Archive, Computer u.v.a.m.

In dem Maße, wie das Wissen zugenommen hat und nicht mehr jedem Einzelnen oder jeder einzelnen Gemeinschaft voll zur Verfügung steht, ist Wissen zu einer Ware geworden, die von denen erworben wird bzw. erworben werden kann, die über die Macht des Wissens d.h., dessen Anwendung wissen, die die Wissensträger kennen, die über das nötige Geld und/oder den sozialen Status oder über die Skrupellosigkeit verfügen, sich auch ohne diese Besitzstände das gewünschte Wissen zu verschaffen.

Früher war Wissen begrenzt und um zu überleben bedurfte es des Wissens zur Nahrungsbeschaffung und zur Verteidigung gegen lebensbedrohende Gefahren.
Nach dem Motto "4 Augen sehen mehr als 2" und "2 Köpfe wissen mehr als einer" schloss man sich zu Überlebens-gemeinschaften zusammen, um die Überlebenschancen zu vergrößern.
Das zunehmende Wissen führte zur Bildung von Spezialisierung, Spezialisierung des Individuums und Spezialisierung der Gemeinschaften.
Während Überlebensgemeinschaften dem nackten Überleben (Grundnahrung und Schutz) dienten, dienen Interessengemeinschaften fast ausschliesslich (gemeinnützige und caritative ausgenommen) der Durchsetzung anderer, ideeller oder materieller Interessen.

Während die Überlebenssicherung im Prinzip ein allen Menschen gemeinsames Interesse darstellt, sind die darüber hinaus gehenden ideellen und materiellen Anliegen nicht bei allen Menschen vorhanden, bzw. nicht mit gleichen Prioritäten versehen.

Während dem Wachstum der Überlebensgemeinschaften durch das Angebot an Nahrung an einem bestimmten geografischen Ort natürliche Grenzen gesetzt sind, sind Interessengemeinschaften derartigen Beschränkungen nicht unterworfen.
Interessengemeinschaften finden ihre Grenzen vielmehr in der Breite der Akzeptanz der von ihnen vertretenen Interessen.
Denn um dem eigenen Anliegen zum Durchbruch zu verhelfen, bedarf es in der Regel einer bestimmten Anzahl Gleichgesinnter.
Eine Interessengemeinschaft steht und fällt also mit der Fähigkeit, eine ausreichende Anzahl gleichgesinnter zu finden, die entweder bereits gleiche Interessen haben oder aber sich diese Interessen zu eigen machen.
Ist das Interesse einmal gestillt, sollte dies eigentlich automatisch die Auflösung der Interessengemeinschaft zur Folge haben.

Es sei denn, die Gemeinschaft
- muss sich weiterhin erhalten, um die dauerhafte Sicherung der Interessen zu
gewährleisten
- findet im Rahmen ihrer Gemeinschaft ein neues, ausreichend verbreitetes
Interesse, dessen sie sich annehmen kann
- erhält sich zur Selbsterhaltung, zur Erhaltung ihrer etablierten Machtstrukturen.

Die Gemeinschaft dient dann nicht mehr der Interessenvertretung ihrer Gemeinschaft, sondern nur noch den Interessen einzelner. Die Gemeinschaft wird benutzt, missbraucht.

Macht korrumpiert.



Djursholm, 2002





Mein Kindertraum

Was mich an Kindern so fasziniert, ist ihre Unschuld. Lachen und Weinen wenn einem danach ist, spontane Gedanken auszusprechen, die Welt mit anderen Augen zu sehen und auf den Kopf zu stellen, authentisch sein zu dürfen, das ist das Privileg der Kinder. Kontinuierlich, beharrlich und wenn es sein muss mit Gewalt, sorgen wir Eltern und die Gesellschaft dafür, dass die Einstellungen und das Verhalten der Kinder der Konvention der Erwachsenen entsprechen und wir erreichen dies mit erschreckender Gründlichkeit durch die Anwendung von sanfter und roher Gewalt, durch Liebesbezeugung und Liebesentzug, durch die Vermittlung von Schuld- und Angstgefühlen, durch die ständige Verlockung mit Scheinwerten, die nur erreichbar sind, wenn man sich der Erwachsenenkonvention beugt.

Lachen wird zum Ausdruck für mangelnde Ernsthaftigkeit, für Leichtfertigkeit, für Sorglosigkeit.
Kreativität wird zum Zeichen von Realitätsfremdheit, Spinnertum und Unzuverlässigkeit.
Offenheit wird zur Beleidigung, zur Unverschämtheit, zur Frechheit, zur Ungezogenheit.
Weinen wird zu Weichlichkeit, zu Memmentum, zur Unfähigkeit, mit der harten Realität des Lebens fertig zu werden.

An Stelle der Werte des Seins, der Freude oder des Leids des Augenblicks, treten die Werte des Habens und die aus Sicht der Erwachsenen sinnvolle Verplanung der Zeit.

Lichtblicke bei den Erwachsenen, die Zweifel an der Richtigkeit und Sinnhaftigkeit ihrer Einstellungen und ihres Verhaltens aufkommen lassen, werden rigoros wegrationalisiert oder ertrinken in der Fülle der Gegenargumente der lieben Mitmenschen. Und so erleben wir dann, die wir uns selber verraten und verkauft haben, mit viel Zwiespalt im Herzen die Kinder, erinnern uns mit Zwiespalt an die eigene Kindheit und träumen hin und wieder den grossen Kindertraum. "Kind müsste man sein" heisst es dann und darin kommt das ganze Elend des verbogenen und verlogenen Erwachsenenseins zum Ausdruck.

Wer sich dennoch, allen Widerständen zum Trotz, eine Portion Kindheit ins
Erwachsenenleben hinüber gerettet hat, dem wird mit einem bemitleidigendem und schuldvollem Lächeln das Etikett "Kind im Manne" angeheftet, was soviel heissen soll, wie Warnung: dieser Erwachsene verfällt noch hin und wieder in die kindische Phase. Man kann ihn als Erwachsenen nicht so richtig ernst nehmen. Unzuverlässig.
Der Rechtfertigungsdruck für das jahrelange Leben und Streben entsprechend der Konvention der Erwachsenen scheut auch vor Defamierung nicht zurück.

Ich würde mal schätzen, dass mein verbliebener Kindheitsfaktor bei 10/15 % liegt und damit wahrscheinlich deutlich höher ist als bei den meisten Erwachsenen. Das zeigt, wie schlecht es um uns Erwachsene bestellt ist.


Djursholm, 2002





Visionen: Ideen über die Realität von morgen
Wirtschaft, Menschen & Kultur: neues Denken tut not
Abschiedsrede vor dem Management der Henkel Norden Gruppe. Stockholm /Tallin, Dezember 2002


Shareholder-Orientierung ist - und mit dieser Auffassung stehe ich nicht allein da - die Folge falsch bzw. einseitig gestellter Fragen, die die Aufmerksamkeit auf den falschen Ort des Wirtschaftsgeschehens leiten, nämlich auf die Verteilung anstatt auf die Erwirtschaftung des wirtschaftlichen Ergebnisses. Letztere halte auch ich für die wichtigere und schwierigere Aufgabe und den Kern der Unternehmensführung.
Die in den letzten Jahren verknüpft mit dem Börsengeschehen zur Dominanz gelangte Shareholder-Value-Theorie hat darüber hinaus zu einer unheilvollen Verwechslung der Unternehmer- und Investorenfunktion geführt.
Sicher, ich gebe zu, eine Wirtschaft braucht sie beide, aber sie erfüllen völlig verschiedene Aufgaben und dienen gänzlich unterschiedlichen Zwecken.
Der Investor braucht die Börse - der Unternehmer braucht sie nicht. Er kann sie nutzen, aber er kommt auch ohne sie aus (manchmal sogar besser. Siehe auch "Porsche").
Der Investor braucht nur eine Ressource, das Geld. Und nur davon versteht er auch etwas.
Der Unternehmer ist aber immer ein Kombinierer von mehreren Ressourcen; darin besteht seine Hauptaufgabe.
Dass alle Unternehmer auch Investoren sind, bedarf keiner weitern Erklärung. Sind aber alle Investoren auch Unternehmer???
Wer diese Unterschiede übersieht, der trägt meiner Überzeugung nach nicht zur Gestaltung der Zukunft bei, sondern zu ihrer Gefährdung. Und das führt mich zu meiner Kernfrage, zur Frage nach guter Corporate Governance, nämlich:
"Was ist der Zweck eines Unternehmens?"
Man kann ihn darin sehen, Arbeitsplätze zu schaffen, Gewinn zu maximieren, den Unternehmer reich, mächtig oder berühmt zu machen, als Steuerkuh oder auch als Versorgungsinstitution für die Manager und Unternehmer und manchmal auch deren Familienmitglieder.
Wenn ich mir die Antworten und deren langfristige Konsequenzen vor Augen führe sind sie für jede Wirtschaft zerstörerisch - und daher kann und darf keine Gesellschaft sie dulden. Wir müssen uns also auf die Suche nach anderen Sinn-Inhalten begeben.

Ich schließe mich denjenigen an, die den Zweck des Unternehmens in der
"Schaffung von zufriedenen Kunden" sehen, der Schaffung von zufriedenen Kunden durch die Transformation von Ressourcen in Nutzen. Um so mehr zufriedene Kunden um so mehr Umsatz um so mehr Gewinn um so mehr shareholder-value.

Und ich möchte darauf hinweisen, dass es mir nicht nur um unsere externen Kunden, die Abnehmer unserer Produkte und Dienstleistungen geht sondern auch um die internen Kunden, unsere Mitarbeiter - vom einfachen Sachbearbeiter bis hin zum Top-Manager - von denen jeder gleichzeitig sowohl Kunde als auch Lieferant ist (sieht ein Manager wohl noch seine Lieferantenverpflichtung gegenüber seinen Mitarbeitern; als Lieferant von Führung, von Förderung und Forderung, von ethischen kaufmännischen Grundlagen, von Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit?).

Die Sichtweise zufriedener Kunden als Unternehmenszweck stellt das Unternehmen selbst in den Mittelpunkt und die Schaffung des Wirtschaftsergebnisses an die Stelle seiner Verteilung.
Sie führt aber auch fast wie selbstverständlich zur Frage nach dem "gesunden" Unternehmen und "gesunder" Unternehmensführung und damit auch zwangsläufig zum Management.
Auch hierzu habe ich eine explizite Meinung.

Es ist kein Geheimnis, dass hier und jetzt ein großer Mangel an hoch qualifizierten Führungskräften besteht, an Leuten, welche Koordinationsaufgaben innerhalb eines Unternehmens mit Leichtigkeit bewältigen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördern, indem sie sie fordern. Menschen, auf den obersten Etagen, die motivieren, überzeugen, faszinieren und dank ihrer Persönlichkeit und ihres Durchsetzungsvermögens nicht nur über soziale Kompetenz und Dynamik reden, sondern auch selbst entsprechend handeln!
Aber wo sind sie, die Damen und Herren, großzügig im Denken und Handeln, großzügig auch im Umgang mit der Arbeitszeit; Leute, die vor Lebensfreude und Aktivität sprühen und mit ihrer Begeisterung, ihrem Charisma auch den Uninteressiertesten noch zu motivieren vermögen?
Sicher, ein solches Anforderungsprofil ist hoch. Unzweifelhaft ist sicher auch, dass es in den letzten Jahren sowohl im persönlichen als auch im fachlichen Bereich enorm gestiegen ist. Aber ist es zu hoch?
Vielleicht sind ja diejenigen, die Leute rekrutieren, nicht kompetent?
Da werden Top-Leute selektioniert, die eine Bilderbuchkarriere mit besten Referenzen vorweisen, Leute, die gelernt haben, wie man sich kleidet, wie man nickt oder eben nicht nickt, wie und wann man lächelt, schweigt, bestätigt und sich anpasst. Eigentlich gute Leute.
Nur haben sie oft in ihrem großartigen Werdegang nicht gelernt, zu entscheiden, Verantwortung zu tragen, selbständig zu denken und zu handeln.
Wie sollten sie denn auch, in einer Gesellschaft, in Unternehmen, wo kaum noch Freiheiten da sind, wo fast alles vorgegeben, vorgeplant und reglementiert ist?
Solche Führungskräfte, in Schemas gepresst, nach unsinnigsten Methoden getrimmt, geprüft und ausgewählt, sind überfordert und gespalten. Sie werden zu unselbständigen, entscheidungsunfähigen, durchschnittlichen und anpassungsfähigen Menschen verbogen. Das ergibt Masse.
In einem solchen Umfeld, habe ich gelernt, entwickeln sich auch keine Kreativität, keine Leader, keine "großen Menschen". Denn solche gedeihen nur in Freiheit, an Orten, wo sie lernen, Risiken zu tragen, zu entscheiden, zu verantworten.
Das alles wissen wir und doch nehmen wir es hin, meinen sogar, das sei normal. Welche Verarmung, welche Verrohung von Unternehmens-, von Führungskultur.
Und wehe dem, der sich auflehnt, nicht selten wird er brutal "ermordet".

"Der Mensch ist nur da Mensch, wo er spielt", hat Schiller schon gesagt. Etwas, das wir auch verlernt zu haben scheinen. Bei allem Ernst des Lebens, der Härte im Beruf und im Alltag - lasst uns Leader mit Visionen, mit Träumen, mit Verstand und Sinnlichkeit und mit der Fähigkeit suchen, dies alles in Einklang mit der Realität zu bringen.
Denn grenzenlose Vernunft allein schafft noch keinen Leader. Mit ihrer Forderung nach dem Absoluten erhebt die Vernunft vielmehr auch den Anspruch auf grenzenlose Sinnlichkeit.

Schon Schiller fragte: "Kann aber wohl der Mensch bestimmt sein, über irgendeinem Zweck sich selbst zu versäumen?"

Der nur mit "tabellarischem Verstand" und "mechanischen" Fähigkeiten ausgerüstete Mensch versäumt sich aber, wenn er zu seiner Ich-Werdung nicht auch seine Sensitivität, das musische und das kreative Element in sich entdeckte und entwickelte.
Fakten, Börsenkurse, Shareholder-Value, Kosten, Restrukturierung, Massenentlassungen.
Damit stürzt sich der Mensch in eine neue Knechtschaft - nicht in die seiner Natur, sondern in die der Abhängigkeit vom Materiellen.
Um diesem Terror der Vernunft zu entrinnen, wie er uns heute in Gestalt des allein seligmachenden Nutzenkalküls begegnet, bedarf es schon starker Persönlichkeiten, starker geistiger und kultureller Gegengewichte.
Die Zeiten sind passé, da man mit Milton Friedman noch lässig behaupten konnte:
"the business of business is business".
Mehr denn je muss heute beim business auch gesellschafts-politische Verantwortung und persönliche Integrität ganz oben auf der Agenda stehen. Corporate Culture muss wiederentdeckt werden.
Ohne ein Grundgerüst von Werten, die nicht dem Mechanismus von Angebot und Nachfrage unterworfen sind, funktioniert noch nicht einmal der deregulierte Markt. Auch deren Verfechter können z.B. nicht verzichten auf die Anerkennung des Staates, auf das Vertrauen der Menschen in die Glaubwürdigkeit anderer oder auf die Wahrung der Würde des anderen.
Die Antwort auf die Frage, wie wir denn in Zukunft leben wollen und was in unserem Leben wertvoll und wichtig ist, hängt schließlich davon ab, wie friedlich, wie nachhaltig und wie qualitätvoll unsere Vision einer lebenswerten Gesellschaft als realistische Zukunft nicht nur gedacht, sondern auch organisiert, umgesetzt werden kann.
Von "großen Menschen".
"Die Utopie" sagt der Philosoph Bloch, "liegt nicht in der fernen Zukunft und nicht an einem anderen Ort. Die Zeit der Utopie ist jetzt und ihr Ort ist hier."
Wie wahr. Und jeder ist aufgerufen.
Auch wir.


Djursholm, 2002





Emanzipation



- Der Begriff „Emanzipation“ ist meist gebräuchlich im Zusammenhang mit dem Streben der Geschlechter nach

Gleichstellung / Gleichrangigkeit / Gleichwertigkeit in unserer Gesellschaft.

- Emanzipation ist in erster Linie
ein Anliegen der Frau, die davon ausgeht, dass in unserer Gesellschaft ein Ungleichgewicht zu Lasten der Frau besteht.

- Das Vorhandensein eines solchen Ungleichgewichtes ist in der Gesellschaft grundsätzlich bekannt und anerkannt.

- Ungleichheit definiert sich aus der Entsprechung bzw. der Abweichung des eigenen Selbstempfindens zur jeweils gültigen
gesellschaftlichen Werteskala.

- Die gesellschaftliche Werteskala ist ein Produkt ihrer Gesellschaft, die zu gleichen Teilen (50 : 50) aus beiderlei Geschlecht besteht.

- Wieso also benachteiligt die Werteskala die Frau?
2 Möglichkeiten:
a) es geschieht mit Einverständnis / Duldung der Frau
(ist das ganze Emanzipationsgerede dann nur eine Marotte weniger intellektueller Frauen?)
b) es geschieht gegen ihren Willen d.h., der Mann setzt es mit „roher Gewalt“ durch

  • Das letztere einmal (weil nicht so ganz unwahrscheinlich) unterstellt, wobei die Methode der „rohen Gewalt“ mittlerweile subtileren Methoden gewichen ist, wie kann sich die Frau dann emanzipieren?

- den Mann beschimpfen? (der lacht sie aus)

- vom Mann Gleichwertigkeit einfordern? (ohne die Mittel es auch durchzusetzen wenig erfolgversprechend)

- an die Einsicht / Vernunft des Mannes appelieren? (aus seiner Sicht wäre es Dummheit, darauf einzugehen. Er kann dabei ja nur verlieren)

Soll es die Frau auf die „schwedische“ Art versuchen und dabei ihre Eigenständigkeit verlieren?

Die schwedische Devise: „Was der Mann kann, das können wir auch!“

Während meiner 7 Jahre in Schweden fiel mir etwas ganz besonders auf.
Das verbissene und für mich schon krankhafte Dominanzstreben der Frauen.
Schweden ist wahrscheinlich das Land auf der Welt, in dem Frauen am stärksten in Politik, Wirtschaft und Sozialwesen vertreten sind (das hängt wohl auch mit der langen sozialistisch-kommunistischen Kultur des Landes zusammen, die Frauen unvoreingenommener gegenübersteht als es Mitte-Rechts bis Rechts-orientierte Kulturen tun) und auch den stärksten Einfluss ausüben (in Schweden waren es nachweislich die Frauen, die den EU-Beitritt lange verzögert, den Beitritt zur Währungsunion bislang verhindert und die Nutzung der Prostitution der Frauen durch den Mann unter Strafe gestellt haben).
Ihr – auf Teilgebieten durchaus erfolgreiches - Bestreben, sich selbst und dem Mann zu beweisen, dass sie fast alles auch und genauso gut können wie der Mann, zeugt von fehlendem Selbstbewusstsein zum eigenen, spezifischen Können. Sie verlieren ihr eigenständiges Profil. Sie werden zur Kopie des Mannes. Und das noch nicht einmal vollständig.

Soll sie es auf
die „richtige“ Art versuchen und dabei sich selbst treu bleiben?

Die „richtige“ Devise:

„Wir können einiges, was der Mann nicht kann“
„Wir können einiges besser, als es der Mann kann“
„Wir können einiges genauso gut, wie es der Mann kann“
„Wir können einiges nicht, was der Mann kann“

„Wir werden durch Geschlossenheit und mit Entschlossenheit dafür sorgen, dass die bestehende Werteskala so verändert wird, dass sich beide Geschlechter darin gleichermassen gleichrangig und gleichwertig abgebildet wiederfinden“.

Massnahmen:

  • sich mehrheitlich organisieren
  • sich mehrheitlich artikulieren
  • sich ausreichend gesellschaftspolitisch engagieren
  • Einfluss auf die gesetzgebenden Organe ausüben

„Wir wissen, dass wir dabei nicht auf die Unterstützung durch den Mann
rechnen können. Wir werden es uns und der Gesellschaft beweisen, dass wir dazu auch allein fähig sind. Auch, wenn es lange dauern wird“.

Wenn dieser Einsatz erbracht wird, besteht
  • die Chance auf Erfolg
  • die Chance auf Erlangung eines gesunden Selbstwertgefühles
basierend auf den eigenen, spezifischen Fähigkeiten

Mit Hilfe der dann vorhandenen „neuen Frau“ kann gegenüber heute ein echter gesellschaftlicher „Mehrwert“ geschaffen (und nicht wie in Schweden vernichtet) werden.
Ein Mehrwert, auf den die Gesellschaft in ihrem eigenen Interesse nicht verzichten kann und nicht verzichten wird.
Dem kann sich auch der Mann auf Dauer nicht verschließen.




Djursholm, 2003



Der Irak-Krieg

(Mein Leserbrief im "Leser-Forum" von "Der Spiegel" zur Rede von Präsident Bush zum Irak-Krieg am 8. September 2003)

Die Rede vom 8. September 2003 ist nicht nur anmaßend, sie zeigt darüber hinaus zum wiederholten Male die meiner Meinung nach völlig unrealistische Einschätzung der Möglichkeiten im Irak.
Die "Washington Post" spricht von der Zielsetzung, den Irak zu einem föderativen, friedlichen, demokratischen Land zu machen, in dem die Rechte der Frauen und Minderheiten respektiert werden und bezweifelt, ob eine UN-Friedens-truppe diese Ziele durchsetzen kann, da doch Länder darin mitwirken würden, in denen diese Werte nicht gelebt werden.
Die hierin zum Ausdruck kommende Arroganz, die erschreckende Fehleinschätzung, die Naivität oder muss man sagen die Dummheit, die zur Definition derartig unrealistischer Ziele führt, jagt mir Angst und Schrecken ein.
Die USA können noch 10, 20 Jahre im Irak bleiben und sie werden diese Ziele nicht erreichen.
Merken sie das jetzt? Soll deshalb eine internationale Staatengemeinschaft mitwirken, um diese Blamage mit den USA zu teilen oder um sie gar ganz auf sich zu ziehen? Damit man hinterher sagen kann, die internationale Staatengemeinschaft habe versagt?
Nein, danke, Herr Bush. Wir wollten diesen Krieg nicht. Nun frisst er Ihre Jungs und ihr Geld und Sie fordern, dass wir den Blutzoll, den Geldzoll und die Blamage der Nicht-Erreichung ihrer unrealistischen Ziele mit Ihnen teilen, nachdem Sie unsere Bedenken und Warnungen arrogant und anmassend ignoriert haben und es jeden haben wissen lassen, dass Sie (selbst ohne England) diesen Krieg ganz allein führen und gewinnen können. Nun, denn mal zu.
Zeigen Sie uns, dass Sie halten können, was Sie versprechen. Allein.
Wie sollen wir Ihnen sonst jemals wieder glauben können?!
Und hören Sie auf, mit dem Marshall-Plan zu argumentieren. Das ist zu platt und zu dumm. In diesem Falle vertreten Sie die Krieg-führende Nation, die ein anderes Land überfallen hat. Ihnen wird dieses Abenteuer jetzt zu teuer.
Wir sollen Ihnen bei der Finanzierung der von Ihnen angerichteten Schäden (und beim Sterben) helfen.
Und Sie können ja noch nicht einmal bitten, nein, Sie sind auch noch so unverschämt, es einzufordern.
Sie sollten sich schämen.

P.S.: "Sie können auf uns zählen, wenn es um die Bekämpfung des internationalen Terrorismus' geht und wenn alle sich daran beteiligenden Staaten als Team zusammenarbeiten können".

Djursholm, 2003






EU-Mitgliedschaft - Wie halten wir’s mit der Türkei
(Mein Beitrag zum Thema im "Leserforum" von "Der Spiegel", 28. Januar 2003)

Ich möchte einen einfachen, neuen Gedanken einbringen: Ist es nicht so, dass kein Land und kein Volk der Welt einen Anspruch darauf hat, Mitglied in der EU zu werden? Sind die Regeln, die Kriterien über Neuaufnahmen nicht definiert? Was soll also das Geschreie, was sollen Drohungen, Polemik (ob sich der Papst oder der Islam für die jeweilig geführten "heiligen" Kriege entschuldigt oder nicht, gehört sicher nicht zu den Kriterien)?
Diejenigen, die eine ernsthafte sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema wollen, sollten sich erst einmal mit den bestehenden Fakten auseinandersetzen. Sollen aber die Kriterien infrage gestellt, neu definiert werden und geht die Diskussion um die Frage, welche Kriterien dann Anwendung finden sollten? o.k., das ist dann eine andere Geschichte. Dann allerdings bin ich der Meinung, das es bei einer solchen Frage keine Vorgabe von Entscheidungskriterien geben sollte (Bevormundung der Gesellschaft). Auch sollten einige wenige Machthaber oder Politiker, die den Kontakt zu ihren Wählern verloren haben, nicht allein über das Schicksal von Hunderten von Millionen Menschen in derart wichtigen Fragen entscheiden dürfen.
Nein, dann halte ich es mit den Eidgenossen und plädiere für eine Volksabstimmung im bestehenden EU-Europa (nicht Land für Land sondern EU-Europa gesamthaft). Denn hier geht es für mich nicht nur um die Schaffung oder die Wahrnehmung oder die Wahrung wirtschaftlicher und machtpolitischer Interessen (die "Otto-Normalverbraucher" eh' nicht versteht) sondern primär um das Zusammenleben, um die Interessen einer sozialen Gemeinschaft d.h., von Menschen mit ethischen und moralischen Grundwerten und per Grundgesetz oder Verfassung geregelten Rechten und Pflichten (das versteht "Otto-Normalverbraucher" und meistens sogar besser, als die von machtpolitischen Interessen geleiteten Politiker oder Verbände).
Es ist Sache der Menschen dieser bestehenden Gemeinschaft darüber zu befinden, ob potentielle neue Mitglieder (menschliche Gemeinschaften und nicht so sehr politische oder ökonomische Gebilde) ihrer Meinung nach genügend Voraussetzungen mitbringen, um in die bestehende Gemeinschaft aufgenommen zu werden, denn die EU ist oder sollte sein - eine Gemeinschaft von und für die Menschen, die in ihr Leben. Welche Kriterien die Bevölkerung dabei anlegt, bleibt ihr überlassen. Diese Kriterien mag man gut heißen oder auch nicht, sie sind nun einmal das Spiegelbild der Gesellschaft in ihrer Zeit und sind als Faktum zu respektieren. Da können die Staaten bzw. die Menschen, die meinen, einen Anspruch auf Mitgliedschaft zu haben oder die Wahrheit für sich gepachtet zu haben, noch so sehr argumentieren, lamentieren, polemisieren, diskriminieren, sie müssen sich der Meinung, der Stimme der bestehenden Gemeinschaft beugen. Und ohne Groll auf die nächste Gelegenheit warten. Das zeugt von gesellschaftspolitischer Reife. Die Politiker wären übrigens auch aus dem Schlamassel und brauchten sich nicht länger zu prostituieren.

Djursholm, 2003



Wer braucht Europa?
(Mein Beitrag im "Leserforum" von "Der Spiegel", geschrieben im März 2004, in der Woche nach dem großen Anschlag islamistischer Terroristen auf verschiedene Bahnhöfe in Madrid)

Zu Zeiten des "Kalten Krieges", in den 60er Jahren, sagten viele normale Bürger in Deutschland:
"lieber ROT als TOT", was soviel hieß wie "sich bei einem Krieg lieber von der Sowjetunion überrollen zu lassen als in den Krieg zu ziehen.
Es hieß aber auch: unsere gesellschaftlichen Werte sind mir nicht wichtig genug, um dafür zu sterben.
15 Jahre nach dem 2. Weltkrieg und in einem sich noch auf der Suche nach neuen Werten befindlichen Deutschland vielleicht verständlich. Gott sei Dank kam es nie zum Schwur.
Heute, gut 40 Jahre später ist das Thema "Krieg und Frieden" ein so heißes Thema, wie schon lange nicht mehr. Allerdings unter anderen Vorzeichen. Die Sowjetunion ist Vergangenheit, kein 'kalter Krieg' mehr.
Die Welt hat sich weiter und weiter geöffnet (man nennt das Globalisierung) forciert durch
-die großen multinationalen Unternehmen (Multis), die Absatzmärkte brauchen, um zu wachsen, um höhere Gewinne zu erzielen, um den shareholder-value zu mehren, um Kapital anzulocken bzw. es nicht zu verlieren, um im harten Wettbewerbskampf zu überleben (fressen oder gefressen werden).
-durch das Internet, das Kommunikations-Tool ohne Grenzen, dass auch mehr und mehr zum Wirtschaftsfaktor wird.

Aber es geht hier nicht nur um Globalisierung von Handel, Kapital, Produktion und Forschung sondern es geht auch immer mehr um die Globalisierung von Lebensentwürfen, von Lebensumständen, von ideellen Werten, die es den Menschen erst möglich machen, global zu leben, global zu wirken.
Es geht, genau gesagt, um nicht mehr und nicht weniger als um die Sicherstellung der Werte der persönlichen Freiheit, der Gleichheit, der Gleichberechtigung der Geschlechter, um die Einhaltung der Menschenrechte, um die Schaffung und die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien in dieser globalisierten Welt. Um Werte also, die sich die meisten Menschen auf dieser Erde wünschen.
Die Abwesenheit dieser Werte muss uns alle stören. Nicht nur im eigenen Land sondern überall auf der Welt, denn diese Welt ist unsere Welt, sie ist bereits offen für viele und wird mit jedem Tag noch offener für immer mehr. Nicht nur für eine abstrakte Wirtschaft sondern auch für die Menschen, die für diese Wirtschaft oder aus anderen Gründen viel Zeit in anderen Ländern und Kulturen verbringen.
Es muss doch möglich sein, in dieser Welt sowohl Geschäfte als auch Urlaub machen zu können,
dort leben zu können, ohne Gefahr zu laufen, der persönlichen Freiheit beraubt zu werden, ohne Gefahr für das eigene Leben, ohne Gefahr, durch Willkür und ohne Rechtsmittel einer Ordnungsmacht nach Gutdünken ausgeliefert zu sein.

Den vielversprechenden Ansätzen zu derartigen globalen Entwicklungen wurden jähe Grenzen gesetzt, als die Terrorflieger des Osama Bin-Ladin das grausame Attentat auf das World-Trade-Center in N.Y verübten.
Und die USA, bis zu diesem Tag das vermeintlich freiheitsliebendste Volk der Welt, dem es auch bis dato gelungen war, ein Großmaß an persönlicher Freiheit mit einem Großmaß an persönlicher Sicherheit zu verbinden, setzen sich von jetzt auf gleich über geltendes internes als auch geltendes internationales Recht hinweg, treten es mit den Füßen. Im Interesse der nationalen Sicherheit, wie es so schön heißt.
Auf der einen Seite der Angriffskrieg, auf der anderen das Gefangenenlager von Guantànamo auf Kuba.
Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Über zehntausend werden von den USA und ihrer Kriegskoalition gefangen gehalten ohne erfahren zu haben, warum, ohne Rücksicht auf die Menschenrechte, ohne Recht auf Verteidigung. Und das geschieht hier und heute. In unserer Welt. Mitten unter uns. Von unseren eigenen Nachbarn und Verbündeten.
Eventuelle Zusammenhänge zwischen dem Auftreten und Verhalten der Amerikaner in der Welt ...
- das bedenkenlose Überstülpen amerikanischer Sitten und Gebräuche über den Rest der Welt und die damit einhergehende
- Missachtung anderer Lebensentwürfe, ja, die Missachtung der Menschenwürde anderer Kulturkreise
- die skrupellose Manipulation (Sturz, Inthronisation, Bestechung) von Regierungen im Sinne eigener Macht-
und Wirtschaftsinteressen (auch Saddam Hussein ist von Amerika dorthin gebracht worden, wo er war,
genauso wie die Taliban in Afghanistan !!)
- die Skrupellosigkeit, andere Staaten durch finanzielle Überschuldung in den Bankrott zu treiben, sie dann mit Hilfe
des IWF durch Kreditzusagen "zu retten" - allerdings mit der Auflage, die "freie Marktwirtschaft",
d.h. die ungehinderte Einfuhr ausländischer Produkte zuzulassen - sie dann mit billigen Überschussprodukten aus
der eigenen Produktion zu überschütten und damit die einheimische Landwirtschaft und handwerkliche
Kleinindustrie zu zerstören...
...und dem Terrorakt?
Null Chance. Keinerlei Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit sich selbst.

"Wir sind o.k., ihr seid nicht o.k."

Und im Büro der mächtigsten Nation dieser Erde sitzt dieser schießwütige Texas-Cowboy
(George W. Bush) mit seiner Militär-Junta an den Hebeln der Macht, der überzeugt davon ist, im Namen Gottes zu handeln und die Welt von allem Bösen befreien und auf die "american way" selig machen zu müssen.
Wenn es sein muss, auch mit Gewalt. Und wer nicht dafür ist, ist gegen uns. So einfach ist das.
Mr. President, genauso denken die Terroristen, nur, dass wir bei denen die Terroristen sind.
Wer hat Recht?
Die Terroristen haben laut George W. Bush den falschen Gott. Mr. President ließ sich bei einer seiner Wahlreden im Jahr 2000 sogar dazu hinreißen zu sagen, dass nur Protestanten in den Himmel kommen können! Ideologischer und religiöser Fanatismus auf beiden Seiten.
Wie kann man nur allen Ernstes davon ausgehen, dass beim Einmarsch in den Irak die Straßen von Irakern gesäumt wären, die amerikanische Fähnchen schwenkend, die amerikanischen Soldaten als Heilsbringer der Demokratie begrüßen würden?
Wie kann man nur allen Ernstes glauben, dass der Irak schon heute Demokratie-fähig ist?
Wie kann man nur glauben, dass eine aufgezwungene Verfassung und eine aufgezwungene "freie Wahl" und die daraus hervorgehende Regierung Bestand haben können?

Wie kann man von "freien Wahlen" reden, wenn man gleichzeitig laut und deutlich sagt, dass man ein durchaus wahrscheinliches Ergebnis einer schiitischen Mehrheit auf keinen Fall zulassen wird?
Diese Weltfremdheit, diese Blauäugigkeit, diese Scheinheiligkeit der höchsten Vertreter der mächtigsten Nation der freien Welt. Da muss doch jeder Angst bekommen? Ich jedenfalls bekomme eine Gänsehaut.
Und warum sagt ihnen keiner laut und deutlich
-dass die skrupellosen Lügen, die sie der UN und damit uns allen aufgetischt haben, um ihrem schon vorentschiedenen Krieg das Mäntelchen der Weltgemeinschaft umhängen zu können, dass diese Lügen das Vertrauensverhältnis zerstört haben,
-dass wir keine eigenen und auch keine Nato-Truppen in den Irak schicken werden, um das Volk im Irak zu Dingen zu zwingen, zu denen es noch nicht bereit ist?
-dass wir uns nicht mitschuldig machen wollen an dem durch die amerikanische Verblendung entstandenem heutigen und morgigen Desaster in diesem Land
-dass wir nicht bereit sind, unsere Soldaten sterben zu lassen für eine Sache, von der wir nicht überzeugt sind
-dass wir nicht zahlen wollen für die Folgekosten eines Krieges, den wir nicht für richtig hielten (und halten).

Dass wir aber wohl daran interessiert und bereit sind, in einer richtig verstandenen Partnerschaft an koordinierten Maßnahmen zur weltweiten Bekämpfung des Terrorismus teilzunehmen.
Auf dem Hintergrund all dieser Ereignisse, Aspekte und Fragen sollte unter der Weltbevölkerung eine viel größere Bestürzung herrschen, sollte die Frage nach der gemeinsamen Weltordnung mit gemeinsamen, von allen respektierten Werten einen viel größeren Platz einnehmen, sollten die Wahlen in den einzelnen Ländern, die gerade anstehende Europawahl, viel stärker von
diesem Thema beherrscht werden.
Warum geschieht das nicht?
Wir können doch nicht allen Ernstes so tun, als ob uns das alles nichts angeht!
Im Gegensatz zu den Hoffnungen vieler haben die unter der Leitung der Amerikaner ergriffenen Maßnahmen zur Terrorbekämpfung die ethnischen und religiösen und weltanschaulichen Probleme bislang doch nicht reduziert sondern weiter gesteigert.
Die Angst vor Terror und Tod greift weiter um sich, er steht vor der Tür eines jeden Einzelnen von uns.
Niemand, der den Tatsachen offen und ohne Vorbeurteilung ins Auge sieht, kann sich noch sicher fühlen. Es trifft auch völlig unbeteiligte, unschuldige Menschen, Frauen und Kinder.
Twin-Tower, Istanbul, Madrid..... was kommt morgen?
Dann bin ich dran.
Oder Du.

Wie kann man denn da noch "Vogel-Strauss-Politik" betreiben?
Und wir können doch nicht die Sicht der Dinge, die Entscheidung über unsere Lebensentwürfe,
die Entscheidung über Krieg und Frieden, über die Welt von morgen, den Amerikanern überlassen!
Faustrecht? Das Recht des Stärkeren?
Wo ist der/die Partner, der über die notwendigen Voraussetzungen (politische, wirtschaftliche und militärische Macht, demokratische Integrität) verfügt, um als echter Partner der Amerikaner für mehr alternatives Denken, mehr alternative Lösungswege, für mehr angewandte Demokratie zu sorgen?
Die großen westlichen Länder Frankreich? England? In diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
China? Russland? Noch ein langer Weg zur Demokratie (apropos Russland. Diejenigen, die sich über zu wenig Demokratie in Russland beklagen, sind sich entweder nicht darüber im Klaren, dass ein zu schnelles und zu viel an Demokratie und freier Marktwirtschaft auch dieses Land ins Chaos und in die totale Abhängigkeit des Auslands (USA) bringen würde oder sie hätten es am liebsten so. Noch NIE in der Geschichte Russlands hat es Demokratie gegeben: Also bitte, mindestens noch 50 Jahre Geduld. Und dankbar sein, dass es bisher noch keinen Rückfall gegeben hat).
Bleibt also nur Europa. NUR EUROPA! Ja, ich weiß. Europa gibt es noch nicht.
Ja, ich weiß, ob es ein Europa jemals geben wird, das ist noch sehr fraglich.
Und dennoch. Es bleibt uns keine andere Wahl. Wir brauchen Europa, Amerika braucht Europa, die Welt braucht Europa.
Warum?
Sehen wir eine Alternative zu einer demokratischen Weltordnung?
Sicherlich, auch die Demokratie ist nicht vollkommen. Aber wo ist die bessere Alternative?
"Lieber unfrei als tot?"
Die Frage "warum?" ist eine Frage nach der Richtigkeit und der Wichtigkeit unserer Grundwerte (persönliche Freiheit, Gleichheit, Gleichberechtigung der Geschlechter, Menschenrechte, rechtsstaatliche Prinzipien). Eine Frage nach der Notwendigkeit der friedlichen Co-Existenz, des friedlichen Miteinander.

Wann sind wir zufrieden? Sind wir bereits dann zufrieden, wenn wir diese Grundwerte in unserer Familie respektiert wissen? Oder in unserer Gemeinde? Oder erst, wenn sie auch in unserem Bundesland, in Deutschland gelten? Oder bei unseren Nachbarstaaten? In Europa? In Amerika? In der ganzen Welt?
Gestehen wir anderen zu, was wir selbst in Anspruch nehmen?
Gestehen wir es Ihnen nur zu oder sind wir auch bereit, Ihnen dabei zu helfen?
Was verstehen wir unter Hilfe? Schöne Worte? Geld? Taten? Was für Taten? Hilfe zur Selbsthilfe? Zwangsbeglückung?
Sind wir uns alle bewusst und macht es uns betroffen dass sich die Welt heute ohne gemeinsames Recht und Gesetz steuert? Dass Co-(Kuh-) Handel, Erpressung, das Recht des Stärkeren die Welt regieren?
Ist es das, was wir wollen? Lässt uns das ruhig schlafen?

Die UN erfüllte bislang wichtige Funktionen als Mittler zwischen den Welten, zwischen den verschiedenen Staaten und insbesondere zwischen den Industrienationen und den Entwicklungsländern, zwischen unterschiedlichen Kulturen und Lebensentwürfen.
Die UN aber verfügt über keine demokratische Basis!

  • Der Sicherheitsrat z.B. verfügt noch immer über die Machtstrukturen, die ihm nach dem 2. Weltkrieg gegeben wurden d.h., für eine Entscheidung im Sicherheitsrat müssen ALLE "Siegermächte", also Amerika, England, Frankreich und Russland zustimmen. Die USA haben jedoch nach dem 11. September klar gemacht, dass sie nicht länger bereit sind, sich dem Veto eines der übrigen "Siegermächte" zu unterwerfen, dass sie sich jederzeit darüber hinweg setzen werden, wenn es die Interessen der nationalen Sicherheit erfordern. Und wann das der Fall ist, das entscheiden natürlich allein sie.
  • Damit hat die UN von einem Moment auf den anderen ihre Autorität verloren.
    Die Vollversammlung der UN wird von NICHT-demokratischen, käuflichen Ländern beherrscht.
    Keine demokratische Basis und jetzt auch keine Autorität mehr. Tragisch.

    Aber wir brauchen eine funktionsfähige und akzeptierte UN. Also müssen wir daran arbeiten.
    Für mehr an Demokratie in dieser Welt voller Unfreiheit, für mehr internationale Institutionen, für übergeordnetes, internationales Recht (Beispiel: der Internationale Gerichtshof in Den Haag z.B. - dem sich die USA ja auch entzogen haben!), bedarf es eines starken Partners(oder auch zwei) an der Seite der USA, der dafür sorgt, dass alternative Szenarien bedacht werden, dass auf der internationalen Bühne die oben wiederholt angeführten Grundrechte und Prinzipien von allen Völkern dieser Erde (inkl. den USA) anerkannt, etabliert und angewendet werden. Nicht mit dem Colt in der Hand sondern mit Feingefühl, mit Gespür für die Realitäten und für die Möglichkeiten in der Zeit.
    EIN Europa, ein Europa mit EINER Stimme, zumindest in Fragen der Außen-, Sicherheits- (nicht landesintern sondern landesübergreifend und Europa übergreifend) und vielleicht auch der Wirtschaftspolitik, das könnte eine echte Chance sein.
    Eine geschlossenere EU wäre eine wirkliche Großmacht, die in richtig verstandener Co-operation mit den USA maßgeblich zu mehr Frieden, mehr Freiheit, mehr Demokratie beitragen und der UN zu neuer Legitimität verhelfen könnte. Zumindest könnte sie dafür sorgen, dass ein "Doppel-Standard" existiert (und nicht nur der einseitig amerikanische) nach dem geprüft und ggfls. entschieden wird, wer, was, wo, wann und wie tut.
    Leider gibt es für eine solche Chance noch zu wenig konkrete Taten. Der Wert der "nationalen Souveränität" wird noch zu oft höher bewertet (weil das Volk nicht aufgeklärt ist oder weil die Regierenden mit begrenztem Blick die überwiegenden Vorteile und die Notwendigkeiten nicht sehen oder weil sich die Mächtigen nicht von Teilen ihrer Macht trennen können).

    Wo ist die Vision?
    Wo ist der Politiker, der mit einer derartigen Vision in den Europa-Wahlkampf zieht?
    Die Zeit ist reif. Überreif!
    Die Umsetzung der Vision von einem Europa mit großer Wirtschaftskraft mit freiem Fluss von Waren, Dienstleistungen, Geist und Kapital befindet sich auf gutem Weg. Auch damit kann man auf der Weltbühne bereits einiges erreichen. Aber nicht genug, wie die jüngsten Beispiele zeigen.
    Der nächste Schritt? Die kontrovers diskutierte aber nun wohl hoffentlich doch entstehende gemeinsame "friedenserhaltende Einsatztruppe". Auch damit werden international Zeichen gesetzt.

    Wer solche Entwicklungen nicht will sondern nur in Ruhe weiter schlafen möchte, der sollte (Einzelner oder Staat) dies offen sagen und erst gar keinen Aufnahmeantrag in die EU stellen bzw. wieder austreten. Sie behindern nur eine richtige und wichtige Weiterentwicklung derjenigen, die etwas entwickeln wollen. Und wer nur für die EU ist solange die geldwerten Vorteile überwiegen, der gehört eh' nicht in diese Union.
    Und wenn die Amerikaner gegen dieses und jenes sind, dann auch nur, weil ihre eigenen Interessen dadurch tangiert werden, weil ihr Einfluss abnimmt oder die Pfründe schwinden.
    Jeder normal denkende und fühlende Mensch weiß jedoch, dass Monopole nicht gut sind für die Allgemeinheit. Nicht in der Politik, nicht in der Wirtschaft, nicht im Leben.
    Nur eine Partei, nur ein Kandidat für ein Amt, nur ein Fernsehsender, nur ein Restaurant, nur eine Universität, nur eine Zeitung, nur eine Automarke, nur eine Fluggesellschaft....... das führt zu schlechter Oualität, zu hohen Preisen und zu wenig Fortschritt (übrigens war das so im Kommunismus). Mit anderen Worten, auch die USA müssen sich hier ändern. Auch ihr muss an starken Partnern gelegen sein.
    ALLE gesellschaftlichen, politischen und sonstigen engagierten Institutionen sollten sich in Sachen der Humanität, der Freiheit, Gleichheit, der Menschen-rechte und rechtsstaatlicher Prinzipien mit einer Zunge, mit einer Sprache mit einem Ziel für deren weltweite Umsetzung einsetzen.
    Damit wir alle morgen wieder ohne Angst, in friedlicher Co-Existenz - auch mit anderen Kulturen - leben können.
    Und besser, wir fangen gleich heute damit an, denn es wird ein langer, langer, steiniger Weg werden.



    Djursholm, 2004





    Management-Lessons learned
    (Quintessenz aus 40 Berufsjahren)

    1. Neugier - Visionen - Kreativität - Lernbereitschaft
    Was immer Du tust
    -es sollte Dich reizen
    -es sollte Dich fordern
    -es sollte Dich weiterbringen


    2. Entscheidungsfreude, Risikobereitschaft
    - Vermeide Verantwortung, wo andere die Entscheidungsbefugnis haben
    - Übernimm keine Risiken, wo andere das Ergebnis bestimmen

    3. Loyalität
    - Sei selbst so loyal wie möglich und fordere Loyalität ein.

    Aber: Glaub' nicht an freundschaftliches Verhalten von Vorgesetzten, Mitarbeitern und Kollegen



    Djursholm, 2005





    Was ist los mit Europa?

    Ich bin ein eingefleischter Europa-Fan. Ein Überzeugungstäter.

    Ich hatte eine Vision:
    Ich bin Bürger der friedlichen und friedliebenden "Europäischen Union", in der die Menschen verschiedener europäischer Länder zusammen leben, mit einer gemeinsamen Verfassung, einer gemeinsamen ethischen Werteskala, einer stabilen, wettbewerbsfähigen, sozialen Marktwirtschaft.
    Die Union ist stolz auf die Vielfalt ihrer Kulturen und verfügt über eine gemeinsame Währung, über flächendeckende gemeinsame Einrichtungen und Institutionen, die das Leben und Zusammenleben in dieser einwohnerstarken und flächengroßen Union für die Bürger überschaubar, handhabbar und wirtschaftlich sinnvoll machen. Die nationalen Egoismen haben sich den gemeinsamen Interessen der Union untergeordnet. Die Union genießt weltweites Ansehen und ist wegen ihrer Weltoffenheit und Toleranz ein bevorzugter Partner in politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Weltangelegenheiten.
    Ich bin stolz darauf, ein Bürger dieser "Europäischen Nation" zu sein.
    Das war "gestern".

    Der
    "Geist von Rom", den die Gründungsmitglieder geschaffen und gelebt haben, ist nicht mehr vorhanden. Er wird auch weder eingefordert noch wird seine Verwässerung beklagt.
    Die "alten" EU- (Gründungs-) Länder und noch mehr die neuen legen nur noch Lippenbekenntnisse ab, geben sich mit Lippenbekenntnissen zufrieden und bemessen den Wert der EU und den neuer Mitglieder nur noch nach den finanziellen, wirtschaftlichen und geopolitischen Vorteilen, die sie daraus ziehen können.

    Die
    Bürokratisierung, eine Flut von für den normal denkenden Bürger unsinnigen Vorschriften und Regelungen lässt die EU-Bürger (zu recht) am Sinn und Zweck der EU-Organisationen und Institutionen zweifeln (anstatt die Bildung von EU- Ministerien, EU-Polizei, EU-Armee zu realisieren, anstatt eine EU-einheitliche Asylantenregelung zu vereinbaren, anstatt sich gemeinsam auf die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Globalisierung einzustellen, anstatt die Pässe, die Ausweise, Führerscheine, die Schul- und Universitätssysteme, die Rechts-vorschriften der Lebensmittelverordnungen, die Steckdosen zu vereinheitlichen, wird die Größe der Bananen und der Durchmesser von Äpfeln definiert, die in die EU importiert werden dürfen).

    Eine zu schnelle Erweiterung
    (Zeitfaktor) mit viel zu vielen Ländern (Menge) von viel zu unterschiedlichen Kulturen und Interessen (politische, strategische, finanzielle, kulturelle, religiöse, ideelle u.a.) (Heterogenität) hat uns vor nahezu unlösbare Probleme gestellt.
    Die Nicht-Einhaltung der Maastrichter Konvergenzkriterien bzw. das starre Festhalten daran.
    Die gespaltene Haltung der EU-Länder in der Irak-Kriegs-Frage.
    Die betrügerischen Manipulationen von Staatshaushalten neuer Beitrittsländer, um den EU-Beitritt zu sichern.
    Das Scheitern der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden.
    Die Ignoranz der Bürgermeinung in Sachen Türkeibeitritt.
    Die Uneinigkeit in der Frage der Agrarsubventionen.
    Die Uneinigkeit in der Frage der U.K.-Subventionen.
    Das nicht verabschiedete Haushaltsbudget für die kommenden Jahre.


    Und dennoch wird mit der Türkei über den Beitritt verhandelt und selbst vor der Möglichkeit, einmal die nordafrikanischen Länder aufzunehmen, machen die Stimmen nicht halt.
    Sind die denn alle verrückt, größenwahnsinnig geworden?
    Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander.

    (Ich bin fest davon überzeugt, dass mindestens in einem Land der Türkei-Beitritt durch Volksbefragung gestoppt wird. Das wissen auch unsere Politiker)

    Sowohl die meisten Repräsentanten der EU als auch die meisten Repräsentanten der Mitgliedsländer leben in
    "ihrer Welt", einer Welt, die wenig Gemeinsamkeiten mit der Welt der EU-Bürger aufweist.
    Wie immer, wenn sich Menschen an den Schalthebeln der Macht nur noch im Kreise gleichartiger bewegen, wenn sie fast ausschliesslich mit der "Elite" reden, mit Präsidenten, Ministern, Staatssekretären, mit Professoren, Wirtschaftsführern, mit intellektuellen Vertretern der Medien, mit sich selbst, merken sie nicht, wie sie sich Schritt für Schritt von ihrer Basis, ihren Wählern, der Bevölkerung entfernen. Darauf angesprochen, weisen sie derartige Vorwürfe vehement von sich. Sie sind fest davon überzeugt, dass sie ganz normale Menschen sind, dass ihre Welt die normale Welt ist, dass sie die Hand am Puls der Zeit, am Puls der Bürger haben.

    Wie bei unseren Landespolitikern so wird es auch bei den EU-Politikern immer wichtiger, sich zu fragen, inwieweit eine Entscheidung der eigenen Karriere dienlich ist, inwieweit sie der Machterhaltung bzw. der Machterreichung dient, als die Frage, inwieweit sie dem Land, den Bürgern dient.
    Fatal. Deprimierend. Desillusionierend.

    Das Bewusstsein, ein
    "EU-Bürger" zu sein, ist so gut wie nicht vorhanden, die Attraktivität, ein "EU-Bürger" zu werden, lässt ständig nach.
    Und ich nehme mich dabei nicht aus.

    Und wieder einmal scheint eine im Grundsatz gute Idee an den Unzulänglichkeiten der Bürger zu scheitern und an der Unfähigkeit der politischen Elite, dies zu erkennen und sich darauf einzustellen bzw. an deren überheblichen und menschenverachtenden Einstellung, sich gegebenenfalls über die Meinung ihrer Bürger hinwegsetzen zu können (müssen!)


    Oxford, November 2005





    Shareholder value - Globalisierung



    Die Zerstörung materieller und ideeller sozialer Werte
    und des sozialen Widerstandes
    durch das unkontrollierte Diktat des Kapitals/des freien Marktes.

    Die anschliessende soziale und finanzielle Unordnung
    verlangt nach organisiertem sozialen Widerstand.

    Wenn Staat und Gewerkschaften das nicht leisten,
    dann geht der Widerstand auf die Straße.




    Oxford, November 2005








    Die schamlosen, menschenverachtenden Lügen der Politiker

    Dass Menschen lügen, das habe ich schon in jungen Jahren gelernt. Dass Politiker lügen, ist auch schon ein alter Hut. Auch sie sind Menschen. Und dennoch, als ich im Jahr 1987 (ich war 44) das erste Mal in die Sowjetunion kam, nach Moskau, Kiev, Saratov, Engels, Novomoskowsk, nach Leningrad, Tosno und später auch nach Stalingrad (heute Wolgograd), als ich all das Elend sah, die verkommenen, verrotteten Häuser und Infrastrukturen, die Straßen, die Autos, die LKW, die Eisenbahnen, die Erdgas- und Fernheizungsrohre, die Hotels, die Toiletten, die "Restaurants", die Flüsse und Kanäle und nicht zuletzt, die Umstände, in denen die Menschen lebten... als ich in den so genannten "Besseren Hotels" einquartiert wurde und in Zimmer kam, die in einem Zustand waren, dass man sich wie in einer Absteige vorkam...... als ich auf durchlöcherten, stockfleckigen Laken schlafen musste.... als ich in Restaurant oder in Betrieben auf Toiletten gehen musste, deren Zustand menschenunwürdig war, bis zu den Knöcheln in Scheiße und Urin, im Winter ohne fließendes Wasser und auch das Wasser im Eimer gefroren so dass einer nach dem/der anderen in dieselbe vollgeschissene Toilette machen musste.... als ich bei Fahrten über Land mit dem Auto stundenlang Schlange stehen musste, um an der Tankstelle Benzin zu ergattern, als ich erfuhr, dass bei der Ernte in Russland ganze Betriebe abkommandiert wurden, um die Ernte einzuholen, weil die Technik nicht vorhanden und/oder ständig kaputt war, dass 25 % der Ernte auf den Feldern blieb und verdarb, dass weitere 25 % im Lager verdarben und weitere 25% nie den Verbraucher erreichten....
    Als ich erfuhr, dass von der Energie der Fernheizungen nur 30 % die Wohnungen erreichten (undichte, übererdig verlegte und nicht oder nur schlecht isolierte Leitungsrohre).....als ich selber erlebte, dass die Züge aufgrund der schlechten Gleiszustände im Schnitt nur 40 km/Std. zurücklegen konnten und man für eine Strecke von 900 km (Stalingrad: Moskau) 23 Stunden brauchte...... als ich mit dem PKW über Landstraßen fuhr, in denen sich Löcher von unvorstellbarer Größe befanden (1/2 bis 1 m im Durchmesser und 20 - 50 cm tief) und mitten auf den Straßen immer wieder ungesichert Haufen von aufgeschüttetem Schotter (für Reparaturen) lagen und dass dadurch eine Fahrt im Dunkeln nicht zum Abenteuer sondern zu einer lebensgefährlichen Reise wurde......als ich lernte, wie die Menschen tagtäglich ihr Überleben organisieren mussten (Essen, Winterkleidung, Winterschuhe) und unter welchen Umständen sie tagein, tagaus lebten (Großmutter, Großvater, Mutter, Vater, Tochter mit Mann, Tochter d.h., 7 Personen in 2 kleinen Zimmern, einer kleinen Küche und einer 2 x 2 Meter Toilette), .....als ich sah, dass ich hier keine Ausnahmen sondern die Regel erlebte und man mir sagte, "da musst Du erst einmal hinter den Ural gehen"....... da wurde ich erst nachdenklich, sehr nachdenklich. Dann fing ich an, an meiner Wahrnehmungsgabe zu zweifeln.
    Dann kamen tiefstes Mitleid für die Menschen dort und dann Erstaunen, Verwunderung, Verwirrung über diese unerwartete Situation in diesem Land ....... und schließlich dann Wut. Nackte, kalte, aufbrausende Wut.
    Wut auf die Politiker im Westen, die uns über so viele Jahre hinweg mit der Sowjetunion in Angst und Schrecken versetzt haben. Ja gut, da war die Atombombe und ich will diese Gefahr auch nicht verniedlichen und schon gar nicht verleugnen.
    Aber dass dieses Land ansonsten ein ausgesprochenes Entwicklungsland gewesen ist, ich meine ein Entwicklungsland auf der Stufe zentralafrikanischer Länder..... dass der Kommunismus dort offensichtlich weder Fortschritt (gegenüber der Zarenzeit) gebracht noch die Menschen glücklicher gemacht hat..... dass dieses Land all die Jahre um seine Existenz, um das nackte Überleben gekämpft hat, das alles haben unsere Politiker gewusst (es gab genügend Spione, Agenten, Überläufer, normale Menschen, die ausreisen durften und andere, die geflüchtet sind usw.).
    Sie haben es gewusst und es uns ganz bewusst verschwiegen.
    Weil dies ihren Interessen diente. Was für eine Riesenschweinerei!
    Ich werde ihnen das nie, nie, verzeihen.
    Außerdem haben sie damit bei mir auch jeden Kredit für die Zukunft verspielt. Unwiderruflich!

    Und heute?
    Auch heute werden wir weiter belogen und betrogen.
    Dass sich kein Politiker und keine Partei an die Wahlversprechen hält, das ist verwerflich, inakzeptabel aber allen hinläufig bekannt. Fast erwartet man es auch nicht mehr. Schlimm genug.
    Das Wissen darüber, dass sie uns auch sonst bewusst irreführen, unvollständig und falsch informieren, belügen, das ist nicht so weit verbreitet.
    Immer wieder in den letzten Jahren und besonders in Verbindung mit den Reformprojekten verweisen die Politiker und auch die Interessenvertreter der Wirtschaft auf die skandinavischen Länder. Also auf Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland. Mal abgesehen davon, dass Finnland (und streng genommen auch Dänemark) gar nicht zu Skandinavien gehören, sind die Hinweise meistens unangemessen, unangebracht, unvollständig bzw. werden sie nicht im gesellschaftlichen Umfeld reflektiert und oft sind sie auch einfach falsch. Egal, ob man den Wohlstand, das Gesundheitswesen, die Schulsysteme (Pisa Studie), Wirtschaft, Verkehr oder andere Sektoren heranzieht.
    Nehmen wir den Wohlstand. Worin drückt sich Wohlstand aus? Norwegen gilt als eines der reichsten Länder der Welt. Das stimmt, wenn man es am Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes bzw. im Bruttoinlandsprodukt/Kopf der Bevölkerung festmacht. das aber heißt gar nichts, wenn es um den individuellen Wohlstand der Bürger geht. Das Land Norwegen mit seiner verstaatlichten Erdölindustrie hortet die Ölgelder auf Bankkonten bzw. legt die Gelder an.
    Für die Zukunft, die Zeit "nach dem Öl"., heißt es. Das heißt aber auch, dass der einzelne Bürger, soweit er nicht in der Erdölindustrie beschäftigt ist, nichts davon hat. Das Land ist reich, die Bürger Norwegens sind eher nicht reich. Oslo, die Hauptstadt, ist führend in der Obdachlosenquote europäischer Großstädte. Die Geburtensterblichkeit Norwegens ist mit am höchsten in Europa, es herrscht Ärztemangel, es gibt zu wenig Krankenhäuser. Und diejenigen, die behaupten, fast jeder Norweger oder Schwede hätte ein Sommerhaus und ein Boot der übertreibt erstens und zweitens sollte er erwähnen, dass es sich bei den Sommerhäusern in der Regel um kleine Holzhäuschen (-hütten) handelt (unseren etwas größeren Schrebergartenhäuschen gleich) mit Plumpsklo im "Herzhäuschen" im Garten und bei den "Booten" in der Regel um Ruderboote mit einem 5 PS Motor dran.
    Auch wird im Zusammenhang mit Wohlstand gern darauf verwiesen, dass fast alle Frauen in den nordischen Ländern arbeiten und sie sich deswegen so vieles leisten können. Das ist absoluter Unsinn! Der Anteil der berufstätigen Frauen ist zwar deutlich höher als in Deutschland (in Schweden sogar am höchsten in Europa) aber: WARUM? Weil ein Erwachsener allein in diesen Ländern keine Familie ernähren kann! Bei Bruttogehältern auf oder leicht unter dem Niveau von Deutschland, bei Spitzensteuersätzen von 56 % (Deutschland 42 % plus Soli), bei Spitzensteuersätzen, die schon bei der Hälfte des deutschen Einkommens greifen, so dass fast jeder Schwede "in den Genuss" des Höchststeuersatzes kommt, bei Vermögenssteuersätzen von 2,5 %( in Deutschland abgeschafft), bei einer Haussteuer, gegen die unsere Grundsteuer eine Lachnummer ist, bei einem Mehrwertsteuersatz von 25 % (in Deutschland heute noch 16 %, ab 2007 19 %), bei Lebenshaltungskosten von ca. 150% vergleichbarer Kosten in Deutschland (Oslo ist die teuerste Stadt der Welt und Stockholm und Helsinki liegen auch nicht weit weg davon), da wird einem schnell klar, dass Paare gar keine andere Wahl haben, als zu arbeiten. Ganz abgesehen davon, dass die Frauen arbeiten, um vom Mann unabhängig zu sein, um im Alter eine Rente zu beziehen, denn Ansprüche aus der Rente des Mannes gibt es nicht (von den Frauen nicht gewollt) und dass der Staat die berufstätigen Männer und Frauen braucht, damit er über genügend Steuereinnahmen verfügt, um diesen so genannten "Wohlfahrtsstaat" am Leben erhalten zu können. Und wehe, eine Frau arbeitet nicht, weil sie es sich leisten kann, nicht zu arbeiten.
    Soziale Isolation ist die Folge. Jemand, der die Vorteile des Sozialstaates in Anspruch nimmt aber selbst keinen Beitrag dazu leistet (d.h., keine Steuern bezahlt), das wird nicht akzeptiert, nicht toleriert.
    Auch heißt es, in den skandinavischen Ländern gibt es für jeden einen Kindergartenplatz. RICHTIG! Warum? Weil beide Elternteile arbeiten MÜSSEN (siehe oben). Auch sagt uns keiner, dass die Kindergartenplätze (Ganztagesplätze) nicht kostenlos sind sondern im Gegenteil so viel kosten, dass ein Großteil des Einkommens eines Elternteils dafür wieder weggeht.

    Das Gesundheitswesen der skandinavischen Länder ist ein nächstes beliebtes Hinweisschild. "Leistung auf hohem Niveau für jeden". Wir haben selbst 7 Jahre in Schweden gelebt, mein Bruder lebt seit 40 Jahren in Norwegen und ist inzwischen norwegischer Staatsbürger. Ich kenne das Gesundheitswesen recht gut.
    Auf fehlende Ärzte und Krankenhäuser und die hohe Geburtensterblichkeit in Norwegen habe ich schon hingewiesen. Und warum sagt uns kein Politiker, der so von Schweden schwärmt, dass jeder bei JEDEM Arztbesuch mindestens 20 Euro (und nicht 5 Euro/Quartal, wie in Deutschland) bezahlen muss, um überhaupt zum Arzt vorgelassen zu werden? Warum sagt keiner, der auf die (tatsächlich) beispielhafte Zahnprophylaxe in Schweden hinweist, dass ab dem 19. Lebensjahr jeder für 100% seiner Zahnarztkosten selbst aufkommen oder Privatversicherungen dafür abschließen muss?
    Warum sagt uns keiner, dass das klassenlose Gesundheitswesen (es gibt tatsächlich nur vereinzelte Privatkrankenhäuser oder Privatabteilungen oder Privatärzte) zu Wartezeiten für dringend notwendige Behandlungen (einschließlich Röntgenaufnahmen oder CT's) von 1/4 Jahr und länger führen?
    Das während dieser katastrophal langen Wartezeiten Menschen an ihren Krankheiten sterben? Unsere Politiker wissen das doch! Warum reden sie von dem beispielhaften Gesundheitswesen in diesen Ländern? Weil unsere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (selbst Kommunistin) dieses System auch bei uns einführen will. und weiß, dass sich der Hinweis auf Schweden gut verkauft und wir daran glauben, wenn jemand auf vermeintlich Gutes im "Wohlfahrtsstaat" Schweden verweist. Und genau das nutzen unsere Politiker aus. Wider besseres Wissen. Es ist eine Schande!
    Die "Pisa-Studie". Auch hier die Beispielländer Finnland und Schweden.
    Und wer erzählt uns, dass es in Finnland so gut wie keine Migrationskinder gibt? Und wer erzählt uns, dass man in Schweden Schüler/-innen, die schlechte Leistungen erbringen, sich aber anstrengen, höher belohnt, als Schüler/-innen mit exzellenten Leistungen? Wer erzählt uns, dass man sein Abitur so oft wiederholen kann, wie man will (gegen Zahlung von 50 Euro) d.h., bis man es schließlich geschafft hat?
    Wer erzählt uns, dass "sozialer Frieden" das Hauptziel des schwedischen Gesellschaftssystems ist und das dieser Friede auch tatsächlich erreicht wird, indem man Mittelmaß schafft ("lagom", heißt das in Schweden). Herausragende positive Leistungen negiert man, schwache Leistungen werden gefördert, Kollektivleistung über Einzelleistung erhoben, wer viel besitzt, dem wird viel genommen (die Haussteuer hängt zum Beispiel auch davon ab, ob man "Luxusgüter", wie eine Geschirrspülmaschine besitzt. Wie viele Kachelreihen man in Küche und/oder im Bad hat, wie groß die Arbeitsplatte in der Küche ist, denn eine große Arbeitsplatte lässt darauf schließen, dass jemand viel Zeit in der Küche zubringt d.h., wenig oder gar nicht arbeitet oder sich eine Hilfe hält d.h., so viel Geld hat, dass er nicht arbeiten muss bzw. Hilfen bezahlen kann!).

    Zur Zeit wird in Deutschland darüber diskutiert, ob die von den Speditionsfirmen gewünschten überlangen LKW's (Mega-Trucks) auf deutschen Straßen zugelassen werden sollen. Argument der Befürworter: "Wenn die einzelnen LKW's größer werden, dann gibt es weniger LKW's auf den Straßen". Gegenargument der Skeptiker: "Durch die Überlänge kommt es zu massiven Verkehrsproblemen z.B. durch Länge der Überholmanöver und Massengewicht bei Auffahrunfällen". Die Befürworter verweisen auch auf positive Ergebnisse bei Testversuchen in Schweden. Und niemand erwähnt, dass Schweden bei nur 1/10 der Bevölkerung eine um 30% größere Landfläche hat, dass es so gut wie keinen Durchgangsverkehr gibt (gegenüber Deutschland mit LKW's aus den nordischen Ländern, den Ostländern, den Beneluxstaaten und anderen) und damit die Verkehrsdichte in Schweden in keinster Weise mit der in Deutschland vergleichbar ist und damit Testergebnisse aus Schweden nicht übertragbar sind. Im Gegenteil, sie würden zu falschen Entscheidungen führen.
    Aber genug nun von den nordischen Ländern. Gehen wir nach England und Amerika.
    Den so genannten marktorientierten Ländern. Vorbilder dafür, was man mit der "richtigen" Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik erreichen kann. Da ist von prosperierender Wirtschaft, von Wirtschaftswachstum, von steigendem Bruttosozialprodukten die Rede. Von Wettbewerbsfähigkeit, von beispielhaften Privatisierungen von Staatsunternehmen, von deregulierten Märkten u.a.m.
    Und wer erzählt uns, dass in den USA 37 Millionen d.h., 30 % (fast jeder Dritte) unterhalb der Armutsgrenze (unter 7.810 Euro/Jahr) lebt?
    In Deutschland gelten 10,6 Millionen d.h., 13 % als arm (schwankt in Europa von 11 bis 22 %).
    Wer erzählt uns, dass 47 Millionen d.h., 40 % aller Amerikaner nicht, überhaupt nicht krankenversichert sind, weil sie es sich nicht leisten können und es keine Pflichtversicherung wie bei uns) gibt!
    Wer erzählt uns beim Streit um Mindestlöhne in Deutschland, dass es diese im Land der gepriesenen freien Marktwirtschaft (USA) schon lange gibt? Niemand.
    Wer sagt uns, das England das teuerste Land Europas ist (Lebenshaltungskosten ca. 150 % gegenüber Deutschland)?
    Und wer erzählt uns, dass in Großbritannien 35 % der Bevölkerung in Armut leben? Dass eine Stadt wie London über eine verrottete unterirdische Infrastruktur verfügt (insbesondere die Wasserleitungen) aber kein Geld da ist, sie zu sanieren?
    Und wer erzählt uns von den misslungenen Privatisierungen in der Wasserversorgung (Thames Waters z.B.), bei der Gesundheit (Krankenhäuser) und der Sicherheit (bis hin zu den Gefängnissen)?
    Niemand.

    Alle wissen, dass Privatisierungen ohne garantierten ausreichenden Wettbewerb zu Lasten der Verbraucher gehen, der überhöhte Preise zahlen muss und sich irgendwann den Strom und das Wasser aus der Leitung nicht mehr leisten kann. Und dennoch wird ernsthaft über weitere Privatisierungen von Schlüsselindustrien diskutiert. Weil die Lobbies der interessierten Ausbeuter so stark und die Politiker so schwach sind.
    Und die Korrekturfunktion der Medien? Sie versagt kläglich.
    Aus denselben Gründen:
    Die Politiker, die Interessenverbände, die Wirtschaft, sie alle verbreiten Angst und Schrecken, um die Bürger gefügig, willig zu machen für die Verschlechterung der Lebensumstände, für das vermeintliche "kleinere Übel", mit dem sich schlimmeres verhindern lässt. Und die Medien greifen es dankbar auf und sorgen noch für Überhöhung, weil nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind, die die Auflage garantieren und Karrieren ermöglichen.
    Wie lange machen die Bürger, die Verbraucher, die Wähler, die Käufer das alles noch mit?
    Wann endlich steht einer auf bzw. geht die Masse auf die Straße, um sich gegen diese Menschen verachtende Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik aufzulehnen ?
    Ich träume von einer "Partei der Vereinigten Verbraucher" (VVP). Verbraucher, die sich gegen das Diktat der Wirtschaft erheben.
    Dagegen, dass wirtschaftliche Interessen über alles gehen.
    Über menschliche Werte. Über Ethik und Moral. Dagegen, dass sich wenige auf Kosten vieler unangemessen bereichern. Dagegen, dass die Wirtschaftsinteressen die Kluft zwischen Arm und Reich so groß werden lassen, dass es unsere Gesellschaft zerreißt. Dagegen, dass sich dem Gewinn, der Rendite, dem Gehalt, dem Lohn, der Erfolgsprämie kurz, dass sich dem Geld alles unterordnen soll, was die Qualität eines Lebens, eines Miteinanders ausmacht.
    Wie das geschehen soll? Nun, da gibt es einen ersten, den schweren Schritt zu tun, nämlich den eines jeden Einzelnen, zumindest aber einer großen Anzahl von uns, sich selbst in dem Streben nach ständigem "MEHR" in Frage zu stellen. Uns zu hinterfragen nach den erstrebenswerten Zielen und Werten, nach den gewünschten Vorbildern für die eigene Orientierung und denen unserer Kinder. Uns zu hinterfragen nach unserer Verantwortung unserer Gemeinschaft, unserem Gemeinwesen "Staat" gegenüber, nach den Beiträgen und, wenn es denn sein muss, auch den Opfern, die wir zu erbringen bereit sind, um ihn nicht nur zu erhalten sondern um ihn lebenswert zu gestalten.
    Gesetzt den Fall, wir wollen etwas in diesem Sinne tun und gesetzt den Fall (wovon ich persönlich überzeugt bin), die staatlichen Organe, die politischen Parteien, die Politiker selber, die Regierung, die Interessenvertretungen der Bürger, der Verbraucher, sie alle können keine Veränderung bewirken, jedenfalls nicht GEGEN die Wirtschaft sondern nur MIT der Wirtschaft und gesetzt den Fall (wovon ich ebenfalls überzeugt bin) die Wirtschaft wird ohne Druck von außen nichts ändern, im Gegenteil, die gegenwärtige Entwicklung weiterführen, eher noch forcieren, dann muss der Verbraucher reagieren. Und das kann er, wenn er denn will.
    Und jetzt kommt der zweite, der einfache Schritt:
    Alle Firmen stellen Produkte und Dienstleistungen her, die sie verkaufen müssen. An uns, die Verbraucher. Aber wenn wir uns nun verweigern? Wenn wir die Produkte nicht mehr abnehmen?
    Wie das?
    Nun, wenn z.B. die Firma Bayer uns unwirksame Medikamente für teures Geld verkaufen will, dann sagen wir "NEIN". Und wenn sie wirksame Medikamente teurer verkaufen will, als andere, gleich wirksame Mittel der Konkurrenz, dann sagen wir auch "NEIN" und kaufen die anderen.
    Und wenn z.B. die "Deutsche Bank" Rekordgewinne verkündet und gleichzeitig Massenentlassungen beschließt, dann kündigen wir unsere Konten bei dieser Bank und gehen zur "Commerzbank" oder der "Sparkasse" oder einer anderen. Die können doch eben so gut unsere Girokonten verwalten?!
    Und wenn z.B. General Motors Werke in Deutschland schließt, um in Portugal oder Schweden oder in Korea zu produzieren, dann kaufen wir keine "Opel" mehr sondern "Ford", "Volkswagen" oder "Seat" oder andere.
    Die fahren doch auch?!
    Und wenn z.B. die Firma "Schneider" uns Produkte verkaufen will, die durch Kinderarbeit in Entwicklungsländern gefertigt werden oder die Firma "Meier" Lebensmittel, die gesundheitsschädlich sind, dann kaufen wir eben bei der Firma "Schulze" oder "Müller“. Was soll's?!
    Das hält keine Firma lange durch. Es ist ganz einfach. Wir müssen uns nur unserer Macht bewusst sein und sie nutzen. Und wir brauchen jemand, der uns organisiert. Ich höre jetzt schon wieder die Stimmen der Wirtschaftsvertreter, der Lobbyisten, der wirtschaftswillfähigen Politiker, der unverbesserlichen Verbraucher: "Aber dann gehen doch diese Firmen kaputt, dann gibt es doch noch mehr Arbeitslose, dann wird die Sicherheit der Renten (die es eh' nicht mehr gibt) doch noch unsicherer usw., usw. Alles Blödsinn. Keine Firma gibt sich selber auf, wenn sie nicht muss. Und es gibt immer Alternativen, einen "Plan B". Und einen Markt mit 80 Millionen Verbrauchern, wie Deutschland, den gibt schon niemand so leicht auf, da können wir ganz sicher sein.
    Also, wer gründet die "VVP" ?


    Haan, Februar 2006







    Die Russen kommen


    In den Jahren 1987 bis 1992 bin ich in der (damals noch) "Sowjetunion", dann in Russland, in Moskau, Leningrad/St. Petersburg, Tosno, Novomoskovsk, Kiew, in Saratov, Engels, Stalingrad/Wolgograd ein- und ausgegangen. Ich bin mit Flugzeug, PKW, LKW und Eisenbahn (Tage und Nächte) durch das Land gereist. Ich habe mit hochkarätigen "Bonzen", Politikern, Wirtschaftsführern, Anwälten, KGB-Leuten, mit Dolmetschern, mit ganz normalen Bürgern zu tun gehabt. Ich habe in KGB-Hotels gewohnt, ich wurde überwacht, abgehört. Ich habe einfache, gute und sehr gute Bekanntschaften gemacht und eine feste Freundschaft geschlossen. Ich habe Lizenzverhandlungen geführt und Joint-Ventures gegründet. in denen ich im Aufsichtsrat war kurz, ich habe Russland und die Russen recht gut kennengelernt.
    Ich kam das erste Mal in die Sowjetunion 1 Jahr nachdem Michail Gorbatschow
    1. Generalsekretär geworden war. Ich habe Boris Jelzin (auch noch in seiner Zeit als Bürgermeister von Moskau) erlebt, den Putschversuch mit den Sturm auf das "Weiße Haus" in Moskau, Jelzin als Präsident von Russland und auch Wladimir Putin in seiner Zeit in Leningrad/St. Petersburg. Ich habe mit Russen aller couleur zum Frühstück Wodka aus Zahnputzbechern getrunken, mich mit Russen unter den Tisch gesoffen, russische und deutsche Dichter rezitiert, traurige Lieder gesungen, gemeinsam die gefallenen russischen und deutschen Soldaten des 2. Weltkrieges betrauert, gemeinsam die Gedenkstätte in Stalingrad besucht und über die Despoten und Diktatoren Hitler und Stalin geschimpft. Ich war bei minus 30 Grad zum Eisangeln auf der Wolga, ich habe Kaviar geschmuggelt und bin ohne Pass und Visum aus der Sowjetunion ausgereist. Soviel zu meinem Russland Hintergrund.
    In diesen Tagen wird viel über Russland geredet und geschrieben. Überwiegend nichts Gutes. Alte Vorurteile werden ausgegraben, alte Ängste geweckt. Und warum?
    Vordergründig, weil:
    - Putin ein Ex-KGB-Mann ist (also ist er gefährlich)
    - Gazprom im vorigen Jahr die Gaslieferungen an die Ukraine gedrosselt hat, um höhere Preise durchzusetzen (also kann das auch mit uns passieren)
    - es einen seit Wochen ungeklärten Mord an einer Putin-kritischen Journalisten gibt (klar ein Auftragsmord von Putin und Beweis für nicht vorhandene und nicht gewünschte Pressefreiheit)
    - weil es einen spektakulären Mord an einem Ex-KGB-Mitarbeiter in London gibt (auch hier ein Auftragsmord von Putin)
    - weil Gazprom den Fußballverein "Schalke 04" mit Millionen sponsort (Russland kauft deutschen Fußball auf)
    - weil über eine Beteiligung einer russischen Firma an der Deutschen Telekom spekuliert wird (Russland kauft deutsche Schlüsselindustrien, hört dann deutsche Telefone ab)
    Dann kommt noch der Tschetschenien-Konflikt, die vielen unschuldigen Toten bei der Stürmung der von radikalen Tschetschenen besetzten Grundschule in Grosny, die Stürmung des von Rebellen besetzten Theaters in Moskau, die Verurteilung des netten Menschen Chodorkowsky, dem man seine Ölfirma "Yukos" weggenommen hat und der nun im Gefängnis sitzt und anderes mehr.

    Keine Gelegenheit wird ausgelassen um auf das undemokratische, unzuverlässige, brutale Russland und seinen Präsidenten hinzuweisen.
    Was steckt nun wirklich dahinter? Ganz einfach:
    - Bei den westlichen
    Politikern die Sorge, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion doch wieder ein starkes, selbstbewußtes Land entsteht, das politischen Führungsanspruch in der Welt erhebt
    - Bei den westlichen Politikern Verdruss, dass es mit dem Ausverkauf der Sowjetunion und damit der endgültigen politischen Schwächung des Landes nichts geworden ist und nichts werden wird
    - Bei den westlichen
    Wirtschaftsführern der Ärger, dass es mit dem Ausverkauf der Sowjetunion nichts geworden ist und nichts werden wird und dass nunmehr ein neuer ernsthafter Wettbewerber auf die globale Wirtschaftsbühne tritt (mit Erdöl, Erdgas, Uran, Gold, Edelsteinen und anderen wertvollen, wichtigen und immer seltener werdenden Rohstoffen, die man nur zu gern in den Besitz und damit in die Kontrolle westlicher Konzerne gebracht hätte).
    - Bei den westlichen
    Medien die Chance, durch die Reaktivierung der früher über lange Zeit erfolgreich geschürten "Angst vor den Russen" ihre Auflagen steigern zu können
    - Bei den westlichen
    Intellektuellen die Chance, sich mit abstrakt logischen Konstrukten zur Demokratie und den Menschenrechte in Russland zu Gehör zu bringen (wie so oft, ohne eine Ahnung von den Zuständen und realistischen Möglichkeiten des Landes zu haben)
    - Bei den
    Normalbürgern die aus Unwissenheit und Dummheit resultierende Bereitschaft, sich wieder einmal für die Interessen anderer instrumentalisieren zu lassen und lustig in das gleiche Horn zu tuten.

    Warum bin ich mir da so sicher? Weil die durchaus richtigen Einwände und Hinweise einiger weniger Kenner der Weltgeschichte, der russischen Geschichte und des heutigen Russlands kaum bzw. nur am Rande Erwähnung finden d.h., kein Interesse daran besteht, diese groß zu publizieren. Jeweils nur 1 Beispiel zu jedem Thema:
    - Ja,
    Putin war Ex-KGB Offizier und stieg 1998 zum Chef des Geheimdienstes FSB, im März 1999 zum Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates auf.
    Und wie ist das mit dem neuen Verteidigungsminister der USA, dem Rumsfeld-Nachfolger Robert Gates?
    Gates hat eine lange Karriere im Sicherheitsapparat der USA hinter sich. Als CIA-Analyst fing der Russland-Experte an und arbeitete sich hoch zum CIA-Chef und stellvertretenden Nationalen Sicherheitsberater. Als Vize des Nachrichtendienstes geriet der heute 63-Jährige in die Mühlen der Iran-Contra-Affäre der achtziger Jahre. Präsident Ronald Reagan wollte Gates 1987 zum CIA-Chef machen, musste seinen Kandidaten aber wegen der möglichen Verstrickungen in den geheimen Waffen-Dollar-Deal zurückziehen. Ein merkwürdiger Gedächtnisschwund rettete damals seine Karriere: Vier Untergebene wollen ihn über Details des geheimen Deals informiert haben. Gleichwohl gab sich der Mann aus Witchita, Kansas, bei Anhörungen vor dem Kongress unwissend. Doch Gates sollte seine Chance bekommen: von George W. Bushs Vater, dem damaligen Präsidenten und ehemaligen CIA-Boss George H. W. Bush. Der nominierte ihn erneut für den Posten des Geheimdienst-Chefs. Eine lange und äußerst kontroverse Anhörung vor dem zuständigen Senatsausschuss folgte, und wieder musste er sich wegen der Iran-Contra-Affäre verteidigen. Er gestand Fehler ein. Dennoch kam er mit Mühe und Not durch. Der Lohn: der Chefsessel der CIA von 1991 bis 1993. Der Sieg von Bill Clinton bei den Präsidentschaftswahlen 1992 beendete seine CIA-Karriere.
    - Ja,
    Gazprom hat Ende 2005 die Preise für Erdgas um über 70% angehoben und vorübergehend die Gaslieferungen an die Ukraine gedrosselt, um den Forderungen Nachdruck zu geben.

    Und wer erinnert uns daran, dass es die Ukraine war, die selbstständig werden und mit Russland nichts mehr zu tun haben wollte? Die am liebsten in die EU aufgenommen werden möchte, die aber nicht bereit ist, sich wie ein normales, unabhängiges, selbstständiges Land behandeln zu lassen, wenn es um den Bezug von Rohstoffen zu Weltmarktpreisen geht?
    Wer informiert uns darüber, das sich die Ukraine in neun Monaten Verhandlungen nicht über neue Preise einigen konnte/wollte?

    Und wer weist uns darauf hin, dass die Ukraine derzeit nur ein Fünftel des westeuropäischen Preises von etwa 250 Dollar pro 1000 Kubikmeter zahlt und eine Preissteigerung um 70 % nur eine Anhebung auf ein Drittel des in Westeuropa üblichen Preises bedeutet hat???

    Und wer erinnert uns daran, dass auch bei uns die Gas- oder Strom- oder Telefonfirmen die Tendenz haben, einfach den Hahn abdrehen, wenn man die Rechnung nicht bezahlt??? Russland hat im Fall der Ukraine nur die Liefermenge gedrosselt und auch das nur für industriellen, nicht für den privaten Bedarf.
    Und hinsichtlich unserer Abhängigkeit beim Erdgas von einem "so unzuverlässigen und undemokratischen" Partner:
    Diese Äußerungen lassen vermissen, dass die Alternativen Länder sind wie Libyen, Saudi-Arabien, Irak und Iran. Zuverlässige und demokratische Länder. Weiß Gott.
    - Ja, die
    Morde an der russischen Putin-kritischen Journalistin Anna Politkowskaja in Moskau und an dem Ex-KGB-Agenten Litwinenko in London sind 4 Wochen bzw. 2 Wochen nach der Tat noch nicht aufgeklärt und britische Kriminalbeamte dürfen sich bei ihren Recherchen in Russland nicht frei bewegen.
    Die Aufklärungsrate von Kapitalverbrechen in D z.B. liegt bei 96 % d.h., dass 4% nie aufgeklärt werden. Und 2 bzw. 4 Wochen sind ja nun wirklich noch nichts zum aufregen. Noch viel spektakuläre Morde im Westen (US-Präsident J.F. Kennedy, Schwedens Ministerpräsident Olof Palme, UNO-Generalsekretär Dag Hammerskjöld, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein Uwe Barschel u.a.m.) wurden nie aufgeklärt.
    Würden wir denn russische, amerikanische, chinesische Kriminalbeamte unkontrolliert in unserem Land über deutsche Staatsbürger recherchieren lassen?
    Was treibt den Westen zu solch blödsinnigen Vorwürfen?
    Die bewusste Stimmungsmache bei der Bevölkerung gegen Russland!
    - Ja,
    Chodorkowski wurde der Prozess gemacht. Und Abramowich (im Westen bekannt geworden, weil ihm der englische Erstliga-Club "Chelsea" gehört) und Beresowski würde man in Russland am liebsten auch aburteilen und ins Gefängnis stecken.
    Reich geworden waren Russlands Oligarchen Anfang der 1990er Jahre, bei der so genannten "wilden Privatisierung" unter Boris Jelzin. Mit der Freigabe der Preise bei gleichzeitiger Einführung von Privateigentum sollte die russische Wirtschaft angekurbelt werden.

    Das hatte verheerende Folgen: Die Preise für Konsumgüter stiegen so sprunghaft an, dass der Großteil der Bevölkerung gezwungen war, jeglichen Besitz zu veräußern - oder die ihnen zugeteilten Anteilsscheine zur Privatisierung der Staatsbetriebe, die so genannten Voucher, zu verkaufen. Für ein paar Rubel kauften damals kluge Neu-Kapitalisten den verzweifelten Menschen ihre Voucher für "ein Appelbrot und ein Ei" ab. Und kamen so und durch andere Winkelzüge in den Besitz großer Staatsbetriebe und damit riesiger Vermögen.

    Beresowski, Abramowitsch
    und ihre Partner erwarben so ein Unternehmen für weniger als 200 Millionen Dollar, dessen wahrer Wert auf 15 Milliarden Dollar geschätzt wurde.
    Michail
    Chodorkowski zahlte 309 Millionen Dollar für 78 Prozent von Yukos, der größten russischen Ölgesellschaft, deren Bewertung bis auf 35 Milliarden Dollar stieg.
    1990 nutzte
    Chodorkowski seine Handelsgewinne zur Gründung der Menatep-Bank. Sein schneller Aufstieg ist zu einem großen Teil auch auf die Gelder zurückzuführen, die die kommunistische Jugendorganisation Komsomol, die kommunistische Partei und staatliche Stellen ihm zur Verfügung stellten.
    Mit einem großen Werbefeldzug wandelte er seine Mentep-Bank schon Ende 1990 in eine AG um und entwickelte sich damit zum Pionier des Finanzwesens. Das Öffentlichkeitsbild erschien im Ausland dennoch lange Zeit sehr trübe. Ein CIA Report von 1995 bezeichnete die Menatep-Bank als eine der korruptesten der Welt, mit engen Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Für US-Banken waren geschäftliche Kontakte mit der Bank untersagt.
    Die große Stunde des Michail Chodorkowski schlug 1995 mit dem berüchtigten "Aktien gegen Kredit"-Programm". Als Berater von Ölminister Wladimir Lopukhin (unter Gaidar) hatte er einen sehr wertvollen Einblick in die Strukturen der Ölindustrie erhalten und nahm bei der Privatisierung die Ölgesellschaft Yukos ins Visier.
    Im Dezember 1995 kaufte seine Menatep-Handelsgesellschaft im Rahmen der Auktion von Yukos einen 45% Anteil für lächerliche 159 Mio $, nachdem die Konkurrenten wegen technischen Fehlern im Angebot nicht zugelassen wurden. Yukos saß zu diesem Zeitpunkt zwar auf einem 1,6 Milliarden $ Schuldenberg, doch unter diesem Berg lagen die größten Erdölserven Rußlands.
    Weitere 33% erwarb Menatep direkt von der Regierung. Das Pikante: Die Bank, die die Auktion durchführte und den Zuschlag für Chodorkowski erteilte, war die Menatep-Bank. Besitzer: Michail Chodorkowski. Das Besondere an diesem Deal war, dass Chodorkowski schon vor der Auktion sehr gute Kontakte zum amtierenden Yukos- Präsidenten Murawlenko aufgebaut hatte, der ihm für den Kauf von Yukos-Aktien sogar Kredit von Yukos gab. Mit anderen Worten: Chodorkowski kaufte den Yukos-Konzern mit Yukos-Geldern und mit Geldern des Finanzministeriums, deren Depositen seine Bank verwaltete.

    Die Zeitung "Financial Times" meldete am 27.10.2003, die Gespräche über einen Einstieg westlicher Ölkonzerne bei Yukos, dem größten Minaralölkonzern Russlands (Chodorkowski) seien vorübergehend ausgesetzt. Die US-Unternehmen ExxonMobil und ChevronTexaco hatten zuvor mit Yukos über eine Beteiligung verhandelt. Gerüchten zufolge wollte Yukos 25 Prozent Anteile an ChevronTexaco, an die USA abgeben.
    Beresowski initiierte zwecks Wiederwahl von Boris Jelzin die sogenannte "Sieben-Bankiers Bande" (Semibankirovschtschina", einen Zusammenschluss der reichsten und skrupellosesten Oligarchen, die in der Folge mit Geld und "administrativen Maßnahmen" den bei 0.6% der Umfragewerte liegenden Jelzin im zweiten Wahlgang doch noch einmal ins Präsidentenamt hievten. Im Anschluss daran und als Belohnung wurde er Vizepräsident des Nationalen Sicherheitsrates. In dieser Eigenschaft war er insbesondere für das Zusammenstellen von "Kompromat" (kompromitierendes Material) als Druckmittel gegen seine Gegner zuständig.
    1995 wurden im Zusammenhang mit der Ermordung des ORTV-Direktors Listjew Ermittlungen gegen Beresowski angestellt. Boris Beresowski wird in Russland, Brasilien, der Schweiz und Israel per Haftbefehl wegen Geldwäsche und anderen Delikten verfolgt.
    2004 wird Beresowski mit dem Mord am Journalisten Paul Chlebnikov direkt in Verbindung gebracht. Chlebnikov recherchierte über die Macht der Oligarchen, speziell Beresowskis und die Geldgeber des Tschetschenienkrieges.

    Der informierte Leser möge jetzt noch einmal seine Positionen zu diesem Thema überdenken.
    - Ja,
    "Gazprom" sponsort "Schalke04" und ein staatliches russisches Unternehmen ist an einem Einstieg bei der Deutschen Telekom interessiert. Na und? Hört die freie Marktwirtschaft, die globalisierte Wirtschaft hier auf, weil sie den Namen "Russland" trägt? Völlig irrational !
    Deutschland hat bis heute rund 4,5 Mrd. Euro in Russland investiert. Russland in Deutschland knapp 400 Millionen.
    Wo ist das Problem?
    - Ja, Russland ist noch keine
    Demokratie, wie wir sie im Westen kennen.
    Russland war noch nie eine Demokratie.
    Da waren die Hunnen, die Tataren, die Mongolen. Räuberische Völker, die sich von der Bevölkerung nahmen, was sie brauchten. Dann waren da die Zaren, die sich nahmen, was sie brauchten. Ihr Volk - ein Volk von geknechteten Leibeigenen. Dann kamen die Bolschewiken, die sich letztlich auch nur als Diktatoren entpuppten, die ihr Volk auf ihre Art knebelten, ausbeuteten, knechteten. Nie gelernt, was Demokratie bedeutet. Nie freie Meinungsäußerung praktiziert. Nie eine freie Presse gehabt. Immer Hunger gelitten, immer gefroren, immer Angst gehabt, immer manipuliert gewesen.
    - Michail Gorbatschow hat die Sowjetunion aufgelöst. Das war alles. Große Geschichte aber nichts für das Land.
    - Boris Jelzin hat Chaos geschaffen und das Land fast ruiniert und ausverkauft.
    - Wladimir Putin versucht Ordnung in sein Land zu bringen und diesem Land und seiner Bevölkerung wieder Selbstbewusstsein und eine Zukunftsperspektive zu geben. Etwas ganz normales also. Etwas, was sich alle für sich selbst, für ihr eigenes Land, wünschen. Und er macht es, so gut es ihm die Umstände erlauben. Und diese Umstände sind so anders als es sich die meisten von uns vorstellen können. So unglaublich anders, schwierig, gefährlich.
    Ein Land, das mehr als viermal so groß ist, wie Europa, fast doppelt so groß wie die USA. Ein Land, in dem nur
    8 Einwohner auf einen Quadratmeter kommen (USA 31, Europa 116). Also ein extrem dünn besiedeltes Land. Also ein Land, das Unsummen aufbringen muss, um das Land mit einer modernen Infrastruktur (Straßen, Schienen, Energie, Krankenhäuser, Schulen etc.) zu versehen. Um mit seinen Bürgern kommunizieren zu können (Telefon, Radio, TV, Internet).
    Und noch ist da nicht viel. Die Leute denken immer an und reden immer von Moskau und von St. Petersburg. DAS IST NICHT RUSSLAND!
    Ein Land mit einer "Herrscherklasse", die zum Großteil noch durchsetzt ist mit Menschen, die von einer Wiederkehr der "guten alten Sowjetunion" träumen oder aber von denen, die nur an den eigenen persönlichen Vorteil denken und dafür auch bereit sind, ihr Land zu verraten und zu verkaufen. Diese sind es auch, die versuchen, über die Beherrschung der Schlüsselindustrien und der Medien zu ihrem Ziel zu gelangen. Ihnen ist jedes Mittel recht. Und der Westen fährt darauf ab. Unterstützt. Aus niedrigen Beweggründen.
    Wladimir Putin hat ganz klar erkannt, dass Russland nur durch die Erschließung und Sicherung der reichhaltigen Bodenschätze sein Land sanieren und entwickeln und zu einem akzeptierten, gleichwertigen Partner auf der politischen und wirtschaftlichen Weltbühne machen kann. Weiter so, kann ich nur sagen.
    Ich wünsche mir, dass Wladimir Putin und die Präsidenten, die nach ihm kommen, es schaffen, dieses Land in einem friedlichen Prozess in eine Staats- und Gesellschaftsform zu überführen, die der Geschichte dieses Landes, dieser Menschen gerecht wird.

    Eine Staats- und Gesellschaftsform, mit der sich der größte Teil der Bevölkerung identifizieren kann, eine Staats- und Gesellschaftsform, die den Frieden in diesem Land und Frieden mit den anderen Ländern dieser Welt sichert, eine Staats- und Gesellschaftsform, die einmal auch die volle Integration Russlands in ein gemeinsames Europa ermöglicht, um damit dem Ideal einer großen, umfassenden Weltgemeinschaft näher zu kommen und anderen Großmächten mit politischen, ideellen, religiösen, wirtschaftlichen oder sonstigen Weltbeherrschungsansprüchen Grenzen aufzuzeigen.


    Haan, 2006





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